Zuvor › Am Boden

Für ein Auto in dieser Klasse waren die Ledersitze recht unbequem; wie diese schwarze, haarlose Haut träge nachgab und dabei knarrte, wenn wir um die engen Kurven fuhren und ich unwillkürlich mein Gewicht verlagerte; wie es immer lauter wurde, je höher wir fuhren; wie sich dunkle Muster abzeichneten, die ich zu sehen begann, wenn ich in meiner äußeren Gleichgültigkeit meinen glasigen Blick schweifen ließ und dabei auf der Rückbank, auf der ich saß, innehielt.

Dieses dunkle, schwere Interieur, verziert mit Wurzelholz und silbergrauen Deko-Elementen; es strahlte eine tragende Schwere aus, schwer und gesetzt, aber durchdringend und mit einer Ernsthaftigkeit unterzeichnet. Dieses Ernste; ich wurde gefahren, und wie ich darüber keine Kontrolle hatte, so fühlte ich mich zu meiner Entscheidung gedrängt, dass ich sie nicht mehr ändern konnte, dass ich mich auf dieses Spiel eingelassen hatte, dessen Regeln ich nicht kannte, und es dennoch bis zum Ende mitspielen musste.

Ich fühlte mich gleichermaßen unfreiwillig angetrieben wie auch befreit, frei von den Zwängen, denen ich noch einige Stunden zuvor unterlag, befreit durch die Liebe, die ich gefunden hatte, aber gebunden an das, was ich für sie tun musste.

Draußen sah es unbeschwert und friedlich aus: Es war ein sommerlicher Tag, am Himmel zeigten sich nur wenige Wolken, weiß und klein; Wolken, die wie verlorene Schafe auf einer weiten Wiese standen. Hier und da brach ein Sonnenstrahl zwischen den Bäumen durch, der die vielen Zweige mit ihren grünen Blättern in einem Heiligenschein verschwinden ließ.

Ruhig betrachtete ich dieses stroboskopische Naturschauspiel, und hin und wieder konnte ich an den Bäumen vorbeischauen, weit hinunter ins Tal, in dem ein Fluss sich über eine Ewigkeit seinen Weg bahnte, um Berge wie diesen zu bezwingen. Wo sich die Bäume verdichteten, sah man ihre stämmigen Körper, gesund und gerade gewachsen, unbeeindruckt von uns, wie wir an ihnen vorbeifuhren und wohl nicht mal ein Blitzen in ihrer Wahrnehmung waren.

Ich fühlte mich wie ein Gast in einer Welt, die den flüchtigen Augenblick des Menschseins nicht kannte, und doch fühlte ich mich ihr verbunden, weil sie all das auszudrücken vermochte, wonach ich mich sehnte: ewige Ruhe, Wärme, Vollkommenheit, nicht übertrieben, aber ständig mit allen Sinnen zu fühlen.

Am Ende der Straße, die von oben bestimmt nicht anders aussah als der Fluss, den wir auch eine Zeit lang begleitet hatten, erwartete uns ein großes Tor, das uns mit seinen geöffneten Pforten einlud, hindurchzufahren. Mein Fahrer bremste ab, und ein Geräusch wie knirschende Zähne, das von den weißen Kieselsteinen unter uns kam, ließ meinen schweifenden Blick verharren und mich mit einer endgültigen Gewissheit das herrschaftliche Gebäude vor mir betrachten.

Dieses Gebäude, weit entfernt von der nächsten Stadt, kurz unter dem Gipfel dieses Berges, gebaut im späten 18. Jahrhundert, mit seiner majestätischen Aussicht auf das Tal, konzipiert als Gästehaus für Staatsgäste und später zu einem exklusiven Hotel mit einem besseren Restaurant umfunktioniert; dieses Gebäude, das auch nach meinem Aufenthalt genauso ein unwirklicher, künstlicher Teil dieser Natur sein würde und dennoch früher oder später ihr wieder Platz machen müsste – als letzter Zeuge der Menschen, die es mal bewohnten; dieses Gebäude, dem mein Besuch gleichgültig war, aber in dem ich alles tun würde, um lieben zu können und um geliebt zu werden.

Rechts vor dem Eingang zum Restaurant parkten wir zwischen anderen Limousinen, und ich nahm das erste Mal wahr, dass mein Fahrer mit mir sprach; mit einer ernsten Stimme fragte er mich, ob ich alles bei mir hätte. Ich schaute mit gleichgültigem Blick aus dem Fenster und beobachtete den jungen Mann an der Tür, der wohl darauf wartete, dass er mir die Tür zum Restaurant öffnen konnte.

Ob ich alles dabei hätte? Jetzt wäre es wohl sowieso zu spät, etwas zu korrigieren. Er fragte nicht einmal, ob ich bereit sei; vielleicht wusste er aber auch einfach nicht, um was es ging, oder es war ihm egal. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er seine Sonnenbrille abnahm, in den Rückspiegel schaute und erneut fragte. Mit kalten Augen, frei von Scham und anderen Gefühlen, sah er mich dabei an, und ich spürte, dass ich für ihn einfach nur beliebig war.

Ohne ihn weiter besonders zu beachten, nickte ich. Dann tippte ich auf den Aktenkoffer aus braunem Wildleder, der unter meinen Beinen stand, um ihm meine Bereitschaft anzukündigen, das Fahrzeug zu verlassen. Der namenlose, bullige Mann setzte sich seine Sonnenbrille wieder auf, stieg schnell, aber bedacht aus und öffnete meine Tür.

Dann stieg ich aus und versuchte dabei, gleichgültig zu wirken; als ich stand, schaute ich mit einem Tunnelblick nach vorne und holte langsam und tief Luft. Mein Herz klopfte nicht schnell, aber kräftig, und beim Gedanken an die Frau, wegen der, nein, für die ich das hier tat, wurde mir für einen Augenblick heiß. Danach tauchte ich sofort ins Kalte ab, emotionslos, nur getrieben von dem Ziel, bei ihr zu sein, ihr sagen zu können, dass sie sich keine Sorgen mehr machen muss, dass uns nichts mehr im Wege stünde.

An meinem Tisch wurde ich bereits erwartet – von einem Bekannten, den ich immer wieder mal traf. Wir realisierten hin und wieder kleine und durchaus lukrative Projekte, aber sonst verband mich nichts Freundschaftliches mit ihm; oft war er nützlich für mich, so wie ich ihm nützlich war. Heute sollte er es wieder für mich sein.

Er wollte ohnehin mal wieder mit mir essen gehen, sagte er mir am Telefon, und das Restaurant hier sagte ihm zu. Zur Begrüßung stand er auf, und in deutlich überschwänglicher Freude begrüßte er mich mit einer kumpelhaften Umarmung. Er fragte mich, ob er mir etwas abnehmen könnte, und mit seinem leptosomen Körper sah er dabei fast wie der Kellner an unserem Tisch aus, der eigentlich dafür zuständig gewesen wäre.

Wir setzten uns, und ich betrachtete ihn kurz. Wie alt er wohl war? Er hatte ein jugendliches, aber markantes Gesicht, ein wenig knochig. Seine rotbraunen Haare waren mittellang und hingen nach vorne ins Gesicht, was es noch schwerer machte, seinem Blick zu folgen. Ich konnte mir nie sicher sein, wohin er gerade sah; manchmal glaubte ich, seine dunklen Augen würden in den Augenhöhlen verschwinden.

Sein euphorisches, energetisches Auftreten ließ ihn oft unterschätzt werden. Selbst mich erstaunte sein Kalkül immer wieder, wenn sein Körper versteifte und er mit ernster, energischer Stimme jemanden zurechtwies. Während er dem Kellner etwas sagte, schaute ich mir die auf dem Tisch stehende Flasche genauer an, ein '91er Lafite–Rothschild, woraufhin ein anderer Kellner mir ein Glas hinstellte und freundlich, aber bestimmt nach der Flasche fragte und jenes zu einem Drittel füllte.

Wir bestellten uns schon mal ein paar Kleinigkeiten vorweg, und ich schaute mich abschätzend um. Der große Saal hatte eine hohe Decke, unter der Kronleuchter hingen, mit Stuck verzierte Wände mit einem Stich ins Gelbe. Eine gesamte Seite bestand nur aus großen Panorama–Fenstern mit Blick auf den benachbarten, ebenso grünen Berg, auf dem eine kleine Burgruine stand. Große, dunkelblaue Samtvorhänge drittelten die Räumlichkeiten.

Im ersten Drittel, wo wir saßen, gab es eine Bar. Ihr gegenüber im Raum stand ein Flügel, an dem ein Pianist versuchte, Keith Jarrett zu imitieren. Uns umgaben ein paar kleine Tische, an denen überwiegend nur Geschäftsleute saßen: allein, nebenbei lachsfarbene Zeitungen lesend, paarweise oder auch zu dritt, über abwesende Kollegen frotzelnd, zu viert, um über beliebige geschäftliche Themen zu reden.

Im mittleren Drittel standen größere, überwiegend runde Tische. An einem saß eine Gruppe von alten Herren, begleitet von ihren Frauen, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters enge Kostümchen trugen und dabei mit Edelsteinen behangen durch ihr tiefes Dekolleté ihren Busen zur Schau stellten.

An einem anderen, länglichen Tisch saß eine gemischte Gruppe von 12 oder 14 Personen, überwiegend Männer mittleren Alters, ein paar Frauen dazwischen, elegant gekleidet, aber vom Gesamtbild her nicht passend – Begleitdamen. Ich hielt beim Überfliegen der Gesichter kurz inne und vergewisserte mich, dass die Person, wegen der ich wirklich hier war, dort auch am Tisch saß. Dann wandte ich mich wieder meinem Gegenüber zu und behielt jenen Tisch im Blickwinkel.

Während wir die inzwischen servierten Appetithäppchen aßen und dabei den Wein hedonistisch verschwendeten, unterhielten wir uns über diverse Belanglosigkeiten: Was wir so in letzter Zeit gemacht hatten, woran wir gerade arbeiteten und was in Zukunft anstehen würde. Es langweilte mich, und es fiel mir schwer, nicht an meine wahre Liebe zu denken, ohne dass ich verlangend durch mein Gegenüber hindurchsehen würde, die Welt um mich herum zu vergessen und meine wahren Absichten zu offenbaren – ich war so versucht, es laut herauszuschreien, mein Körper war geladen wie nach einem Sprint.

Stattdessen versuchte ich, mich in Gleichgültigkeit, in der von mir erwarteten Gefühllosigkeit, zu üben, und erfreute mich geistig an all den schönen kleinen, vollkommen unnötigen Dingen im Leben, die ich dieser Einstellung zu verdanken hatte. In dem Augenblick war ich in mich selbst verliebt, und trotzdem schob sich ihr Gesicht in meine Gedanken. Sie bestimmte irgendwie mein Tun, aber ich fühlte mich gut dabei, weil ich dabei frei, unerreichbar und unverwundbar war; mein Handeln hatte durch sie einen tieferen Sinn.

Dann gab ich mir pflichtbewusst einen Ruck und konzentrierte mich, lehnte mich zurück und tauschte mich weiter über geschäftliche Errungenschaften aus – wie wir da saßen und uns als Intriganten der Gesellschaft verstanden und dabei auch noch lächelnd Werte anhäuften.

Es verging einige Zeit, der Hauptgang kam, und ein Kellner öffnete uns eine weitere Flasche von dem Wein; ich beugte mich kurz nach vorne, um nach dem Weinglas zu greifen, als ich sah, wie sich mein wahres Anliegen auf die stille Örtlichkeit begab. Wie programmiert entschuldigte ich mich sofort und schob die unnötige Ausrede nach, dass ich mich kurz frisch machen wollte, und stand auf.

Während ich mich vom Tisch begab, konnte ich meinen Bekannten lächeln sehen. Zügig begab ich mich in Richtung der Waschräume. Die Tür schloss sich beinahe, und ohne sie weit zu öffnen, zwängte ich mich flink durch den Spalt hindurch. Ich schaute mich in dem recht kleinen Raum um, vor mir im dunklen Marmor zwei eingelassene weiße Waschbecken, Wasserhähne in gebürstetem Aluminium mit zwei kleinen Spiegeln davor, gedämpftes Halogenlicht schien von der Decke. Rechts von mir lagen Handtücher und einige Parfumproben. Zu meiner linken war eine weitere Tür, die ich vorsichtig öffnete; ein rosiger Duft hauchte mir entgegen.

Ich schaute in den Raum und sah voneinander getrennte Kabinen. Es war niemand zu sehen, und auch beim obligatorischen Blick unter die Türen konnte ich niemanden entdecken. Vorsichtig betrat ich den Raum, in dessen Mitte ich stand, als ich von hinten angesprochen wurde.

Während ich mich umdrehte, griff ich einen Arm der Person, die aus dem toten Winkel der Tür hervortrat, drehte mich und meinen Arm weiter und warf sie durch den Raum. Dann öffnete ich eine der Türen, packte den Körper und stieß ihn hinein. Ohne lange zu warten, nahm ich meine Pistole aus dem Halfter, den Schalldämpfer aus meinem Jackett und schraubte ihn auf. Ich schaute meinem Opfer kurz und bestimmt in die Augen, aber ich sah dort nicht, was ich erwartet hätte; stattdessen hörte ich nur eine Entschuldigung. Ich drückte ab.

Im selben Augenblick, in dem ich den Abzug betätigte, verlor der Mensch vor mir sein Leben. Diese maschinelle Tötung, unpersönlich, artifiziell, als würde ich es nicht selbst tun, war so befremdlich und gleichzeitig so leicht. Dann hielt ich kurz inne und schaute, wer vor mir war.

Diese Symmetrie des Gesichts, dieses volle, lange schwarze Haar auf dem Kopf, der auf einem mindestens ebenso schönen Körper war. Diese Augen, die so sehnsüchtig schauten, mich leer, glasig und trotzdem vorwurfsvoll anschauten. Diese toten Augen, die mich leben ließen. Diese tiefen Augen, die zum ersten Mal wahre Liebe in mir weckten.

Da stand ich und sagte ihr, dass sie sich nun keine Sorgen mehr zu machen brauchte, dass uns nichts mehr im Weg stünde. Ich wollte schreien, alles herauslassen, den ganzen Schmerz und all die Liebe, aber stattdessen feuerte ich mein Magazin leer, verteilte Schüsse über ihre Brust, und während ihr Körper sich dabei ein letztes Mal aufbäumte, einen Schuss in ihren Kopf. Dann sackte sie zusammen, und ich wandte mich ab.

Ich verließ den Raum, wusch meine Hände, ließ kaltes Wasser über den heißen Schalldämpfer laufen, um ihn dann abzuschrauben und in meinem Jackett wieder verschwinden zu lassen. Die Pistole schob ich zurück in ihr Halfter. Ich schaute im Spiegel nach meinem Krawattenknoten, aber den doppelten Windsor brachte so leicht nichts aus der Ruhe.

Dann verließ ich den Waschraum. An den Tisch zurückgekehrt, setzte ich mich sofort hin, entschuldigte mich erneut für die Unterbrechung und holte einmal tief Luft; ich wünschte guten Appetit und genoss mein Essen. In Selbstgefälligkeit saß ich da, befreit von einer großen Last. Ich fühlte mich erleichtert und irgendwie glücklich, als würde alles einen Sinn ergeben, das Rätsel des Seins löste sich vor mir auf.

Ich rationalisierte meinen Gedanken, lächelte ganz kurz und flüsterte:

Ich liebe sie.

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